1000 Euro pro Monat, für jeden: Thomas Straubhaar ist überzeugt vom bedingungslosen Grundeinkommen. Im Interview erzählt der Ökonom, warum dieser Betrag den Sozialstaat ersetzen könnte.
Capital: Sie plädieren für ein bedingungsloses Grundeinkommen – 1000 Euro für jeden, eine Art Daseinsprämie. Was würden Sie selbst in so einer Welt anstellen?
Straubhaar:
Das ist die Frage aller Fragen: Ich würde genau das tun, was ich schon
mache. Bücher schreiben, reisen, forschen und lehren. Ich arbeite
einfach zu gerne, für mich ist meine Arbeit eine Berufung, und es ist
ein Privileg, dafür bezahlt zu werden. Außerdem wären mir 1000 Euro zu wenig für ein gutes Leben.
Ok,
Sie gehören zu den Privilegierten. Aber was ist mit den anderen, manch
einer nimmt vielleicht nur das Geld und macht es sich bequem. Haben Sie
keine Sorge, dass Sie so eine Generation von Faulpelzen produzieren?
Die
Angst kann ich allen nehmen. Die ganz große Mehrheit der Deutschen will
nicht in der Hängematte liegen und nichts mehr tun. Das haben sie
jedenfalls gerade dem Forsa-Institut in einer aktuellen Umfrage für die
Körber-Stiftung gesagt. Die allermeisten Menschen arbeiten ja nicht nur
wegen des Geldes, sondern auch wegen der festen Strukturen, der
Kontakte, der Anerkennung und weil sie etwas Sinnvolles tun und
vielleicht sogar Spaß haben.
Aber es gibt doch viele gefährliche, langweilige
Jobs, körperlich anstrengende Arbeit, wer säubert schon gerne jeden Tag
dreckige Klos oder zieht im Schlachthof Gedärme aus Schweineleibern.
Das macht doch dann keiner mehr?
Gut so. Diese Menschen
könnten nun Nein sagen, die haben nicht mehr den materiellen Druck,
arbeiten zu müssen. Heute erzwingt unser System durch materielle Not,
dass Menschen Jobs annehmen, die eigentlich menschenunwürdig sind, die
niemand gerne macht und die dennoch sehr schlecht bezahlt sind. Wir
nehmen auch in Kauf, dass diese Menschen kürzer leben. Mit einem
bedingungslosen Grundeinkommen aber hätten sie die Wahl. Die Folgen:
Arbeitgeber müssen sich überlegen, ob Maschinen oder Roboter den Job
erledigen können und ihre Prozesse schneller verändern. Da bietet die
Digitalisierung eine historische Chance. Wenn wir die nicht nutzen, ist
das eine Sünde. Falls das nicht möglich ist, müssen die Löhne für diese
Jobs steigen, damit Menschen bereit sind, für ein paar Stunden Dinge zu
tun, die sie heute gegen ihren eigentlichen Willen ein ganzes Leben
lang machen müssen.
Das Grundeinkommen hat viele Fans im Silicon Valley.
Auch in Deutschland fordern es einige Arbeitgeber großer Konzerne. Was
ist mit dem Argument, die Unternehmer kaufen sich frei, die wissen,
dass Ihr Plattformkapitalismus eine Menge Menschen arbeitslos macht und
wollen die Kosten auf die Gemeinschaft überwälzen.
Bisher
ist es doch so, dass die Unternehmen die Kosten abwälzen! Sobald ein
Beschäftigter ein Burnout hat, körperlich versehrt ist oder entlassen
wird, zahlt in erster Linie die Gesellschaft dafür. Die Unternehmen
haben nichts damit zu tun. In Zukunft kann sich keiner freikaufen, das
Grundeinkommen finanziert sich aus Steuereinnahmen, also alleine aus
der Wertschöpfung der Wirtschaft. Außerdem werden die Arbeitgeber sich
anstrengen müssen, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Arbeitnehmer
etwas leisten wollen.
Wie kommen Sie eigentlich gerade auf 1000 Euro?
960
Mrd. Euro kostet der heutige Sozialstaat. Das sind pro Kopf der
Bevölkerung jährlich rund 12.000 Euro. Statt das Geld in einen
Sozialstaat zu stecken, der in der neuen Arbeitswelt nicht mehr
funktioniert, wäre es besser, wenn der Staat jedem Einzelnen damit eine
Mindestabsicherung garantiert.
Kindergeld, gesetzliche Renten, Arbeitslosen –und Krankenversicherung - all das ist dann weg?
Das
Grundeinkommen ersetzt den heutigen Sozialstaat im Prinzip vollständig.
Gesetzliche Altersabsicherung, Krankenversicherung und
Arbeitslosenversicherung werden abgeschafft. Wer etwas haben möchte
über das Grundeinkommen hinaus, muss sich selbst privat versichern.
Mit
1000 Euro kommt jemand, der in Halle lebt gut hin, in München könnte er
davon nicht leben. Erzeugt das nicht neue Ungerechtigkeiten?
Gut
begründete Differenzierungen kann es auch weiterhin geben – die
Wohnungsmieten gehören aber nicht dazu! Natürlich muss der Staat einem
Invaliden, der teure Behandlungskosten hat, und mit 1000 Euro nicht
auskommt, Zuschläge zahlen. Aber im Prinzip wäre mit 1000 Euro alles
abgegolten.
Klingt sehr radikal.
Aber machbar. Und
effektiver, fairer und weniger bürokratisch. Der Sozialstaat heute hat
den irren Fehler, dass er viele von der Solidarpflicht befreit.
Selbstständige, Freiberufler, Beamte und Abgeordnete finanzieren nur
teilweise mit, die Beitragsbemessungsgrenzen sind willkürlich, einige
Einkunftsarten, die Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden sind von der
Finanzierung der Sozialversicherungen befreit. All das finde ich
schreiend ungerecht. Soziale Versicherungen sind weder sozial noch sind
sie Versicherungen.
Ein Drittel der Sozialversicherung wird schon aus Steuern gezahlt.
Ja,
genau, damit wenigstens der Schein gewahrt bleibt! Es ist aber nur ein
eindrücklicher Beleg dafür, dass das alte beitragsfinanzierte System
bereits implodiert ist. Und es kann nur noch künstlich überleben, weil
man Steuern nutzt.
Ex-Kanzler Gerhard Schröder rühmen viele
bis heute wegen seiner Agenda 2010. Ein Kernelement war die
aktivierende Sozialhilfe, das legendäre Fordern und Fördern, dass
Sozialleistungen an Bedingungen knüpfte.
In jedem System
gibt es Schmarotzer, die sich verweigern, auch im heutigen System. Ich
behaupte nicht, dass das Grundeinkommen einen besseren Menschen
hervorbringen wird. Aber die Zukunft Deutschlands
hängt nicht davon ab, ob wir ein paar Schmarotzer mit aller Kraft dazu
treiben, irgendetwas zu produzieren, was gesamtwirtschaftlich völlig
unbedeutend bleibt.
Hartz IV ist also völlig überschätzt.
Nein,
es hat für die Symbolik der Vergangenheit sehr viel gebracht. Aber für
die Wirtschaftsdynamik der Zukunft ist es bedeutungslos. Die Zukunft
Deutschlands hängt davon ab, ob es uns gelingt, die Masse der Menschen
so zu ermächtigen und so zu motivieren, dass sie über ein immer
längeres Leben immer produktiver Wertschöpfung generieren können. Unser
Sozialsystem sollte sich nicht auf die Problemfälle ausrichten. Es
sollte die Masse der Menschen befähigen. Und genau das tut das
Grundeinkommen. Es ist keine Stilllegungsprämie, wie oft behauptet
wird. Es befreit Menschen von Angst und Druck und erlaubt jenen, die
etwas leisten wollen, auch mal eine Auszeit, um sich für eine gewisse
Zeit weiterzubilden, neuen Schwung zu nehmen oder sich beruflich neu zu
orientieren.
Unser jetziger Sozialstaat bestraft ja solche Auszeiten und Brüche.
Das
ist genau der entscheidende Punkt! Hier zählen Beitragsjahre, wer 45
Jahre nicht vollkriegt, wird bei der Rente bestraft. Die Regeln sind
gemacht für die Arbeitswelt aus dem vergangenen Jahrhundert, wo
Menschen acht Stunden am Tag in 46 Wochen im Jahr über 45 Jahre hinweg
ohne Unterbrechung eine Erwerbsarbeit verfolgten und so ein Leben lang
ihr Einkommen erwirtschafteten. Das System des Grundeinkommens ist
gemacht für die Beschäftigten der Zukunft, für das Digitalzeitalter, wo
Wechsel, Brüche, Auszeiten im Erwerbsleben dazu gehören. Jede(r)
Einzelne wird damit viel einfacher die ganz speziellen Lücken
finanzieren können, die sie/er exakt braucht.
Wollen Sie mit Ihrer Idee des Grundeinkommens für alle eigentlich den Kapitalismus retten oder abschaffen?
Ich
sehe es als eine Revitalisierung der Sozialen Marktwirtschaft. Wir
alle, auch wir Ökonomen, haben uns zu wenig Gedanken über die Verlierer
der Globalisierung gemacht. Viele Menschen fühlen sich abgehängt,
trauen der Elite nicht mehr. Auch deshalb ist in den USA Donald Trump
gewählt worden, haben sich die Briten für den EU-Austritt entschieden.
Aber
in Deutschland läuft es doch gut, wir haben fast Vollbeschäftigung, die
Wirtschaft wächst – warum sollten wir da einen solchen Umbruch
riskieren?
Systemwechsel sollte man in guten Zeiten
realisieren. Dann lassen sie sich vernünftig steuern. Es geht mir
darum, dass künftige Generationen in einer neuen Arbeitswelt
erfolgreich sein können. Genauso wie die Soziale Marktwirtschaft nach
dem 2. Weltkrieg die Geburtsstunde des deutschen Wirtschaftswunders
war, genau so würde ich jetzt mit einem solchen Modell die
Geburtsstunde des digitalen Zeitalters ausrufen. Das Modell des bedingungslosen Grundeinkommens ist im digitalen Zeitalter eine wunderbare Voraussetzung für Wohlstand für alle.
Dieser Text ist zuerst bei capital.de erschienen.
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